„Schrift im Raum“

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Alexander H. Schwan
Korrelationen von Tanzen und Schreiben bei Trisha Brown, Jan Fabre und William Forsythe

Erschienen beim transcript-verlag in der Reihe „TanzScripte“ als Band 47 im Januar 2022

Print, 2/2022, 358 Seiten kart., ISBN 978-3-8376-3814-1
E-Book (PDF), ISBN 978-3-8394-3814-5

Alexander H. Schwan (Dr. phil.), geb. 1973,
Tanzwissenschaftler und Evangelischer Theologe, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Rolle von Religiosität und Spiritualität in der Tanzmoderne, zeitgenössische Tanzästhetik sowie das Verhältnis von Tanzwissenschaft und Kunstwissenschaft. Die seinem Buch Schrift im Raum zugrunde liegende Dissertation wurde mit dem Tiburtius-Preis der Berliner Hochschulen ausgezeichnet.

… aus der Verlagsankündigung:
Alexander H. Schwan nimmt den bekannten Vergleich von Tanzen und Schreiben neu in den Blick und entwickelt erstmals eine umfassende Poetik der Bewegung als körperliche Schrift: écriture corporelle. Im intensiven Dialog mit Schrift- und Bildtheorien analysiert er herausragende Arbeiten postmoderner und zeitgenössischer Choreographie, die Tanzbewegungen als ephemere Einschreibung im Raum organisieren. Er zeigt exemplarisch auf, wie diese Körperfigurationen als Veränderung eines imaginären Schriftbildes betrachtet werden können. So eröffnet die Studie wichtige theoretische Perspektiven für die Tanzwissenschaft und verändert die Wahrnehmung von Bewegung: Tanz wird sichtbar als flüchtiges Schreiben und unlesbare Schrift im Raum.[transcript-verlag]

Kurzrezension:

Der Autor stellt in diesem Buch, seiner Dissertation, einleitend die Frage: „Gezeichnete und geschriebene Linien sind Resultate körperlicher Bewegung, die Spuren eines minimalen Tanzvorgangs. Doch es ist möglich und es hat seit Stephane Mallarme eine lange Tradition, Tanzen selbst als Geflecht von Bewegungslineaturen wahrzunehmen, als flüchtiges und in sich verschlungenes Tanz-Lineament. Im genauen Rückgriff auf die Etymologie des Begriffs Choreographie als Tanz-Schrift eröffnen sich hier für weitreichende Perspektiven: Tanz wird betrachtbar, ja lesbar als temporare Inskription und erscheint in Anlehnung an Mallarme als eine ecriture corporelle.“ Und weiter: „So wird nicht nur Schreiben als eine Art von Minimaltanz begriffen oder Tanzen als analog zum Schreibvorgang verstanden, vielmehr kann Tanzbewegung selbst als Simulakrum von Schrift verstanden werden. [20]“
Aus dieser Fragestellung heraus entwickelt der Autor seine Untersuchung zum Verständnis bzw. seiner Interpretation der Natur des Tanzes als eine Schriftlichkeit, die sich im Raum entwickelt und darstellt. Er wählt zu diesem Zweck und als Referenz: „Von Trisha Brown wie auch von William Forsythe werden je zwei Arbeiten untersucht, da beide sich in besonders komplexer Weise mit der Analogie von Tanzen und Schreiben sowie ihrem Ausdiffundieren ins Kritzeln beschäftigt haben“[20]
Er begründet die Auswahl: “Zunächst wird bei Browns Roof and Fire Piece (1973) die Iterierbarkeit von Bewegungen problematisiert: Sie stellt ein wichtiges Verbindungsglied zu Schrift als System dar, kann aber aufgrund der Inexaktheit körperlicher Kopiervorgange nicht zur Ganze realisiert werden, sodass Tanzbewegung von einer unvermeidlichen In-Iterabilitat affiziert wird.“[21]
Und weiter: „Trisha Browns Stück Locus (1975) bietet die Möglichkeit par excellence, um nach der Codierung und Dechiffrierbarkeit von Bewegungen zu fragen.“[21] Zum zweiten Beispiel die Stücke von William Forsythe : „Die beiden Arbeiten von William Forsythe werden nicht wie die vorherigen Stücke hinsichtlich ihrer Annäherung an Schrift als System untersucht, sondern primär hinsichtlich ihrer simulierten Ikonizität von Schrift und der Auffassung von Tanzbewegungen als Schreibbewegungen befragt.“[21]
Anschließend befasst er sich mit dem Forschungsstand zum Thema: „Die Studie basiert einerseits auf den Forschungsfragen und -positionen, die im Rahmen eines erweiterten Schriftbegriffs gestellt wurden, und greift andererseits Anregungen aus tanzwissenschaftlicher bzw. literatur- und kulturwissenschaftlicher Diskussion zu einer Analogisierung von Tanz und Schrift, Bewegung und Schreiben auf.“[22]

Die Arbeit thematisiert die naheliegende Beziehung zwischen der Schrift und der Vorgabe der Bewegung in der Notation, als hier die Verbindung am augenfälligsten ist und die Notation in tanzwissenschaftlicher Hinsicht ausführlich bearbeitet wurde. Und er stellt dabei auch fest, dass eine einheitliche Tanzschrift bis heute fehlt, wie auch oft bemerkt wird. Die Notation zeigt auch in eindrucksvoller Weise, die Differenz zwischen Tanz und Schrift die damit bestätigt wird. Und er zitiert: „Tanznotationen sind daher vieles, aber eines nicht: Tanz. Aufgrund dieser ontologischen Differenz – Schrift kann Tanz unter Verlust vieler Parameter festhalten, gerade weil sie selbst nicht Tanz ist – besteht die Gefahr, in der Orientierung an einem phonographisch verkürzenden Verständnis von Schrift, Tanzen wiederum mit Sprechen zu parallelisieren, so als wurde in der Tanznotation eine Bewegung festgehalten werden, die es in einer Art körperlichem Leseakt wieder zu verlebendigen gelte.“ [Zitat: Watts, Victoria: Dancing the Score. Dance Notation and Differance, in: Dance Research 28:1 (2010), S. 7-18.][83]

Das Buch gibt tiefe, ausführlich begründete Einblicke aus der Literatur in das Verhältnis von Schrift und Tanz. Es zeigt die Differenzen auf, die in der Tanzliteratur ausführlich beschrieben und begründet werden. Es zeigt, dass Tanz und Schrift nicht adäquat vergleichbar sind und der Unterschied in der Art des Tanzes als Bewegung, die nicht 100% wiederholbar ist und der Schrift, die unveränderlich bleibt. Damit erscheint der Tanz mehr als ein „Gekritzel“ im Vergleich zur Schrift.

Peter Dahms [www.Dahms-Projekt.de/wordpress]