Der optimierte Mensch

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Daniel Martin Feige / Rudolf Inderst (Hg.)

Der optimierte Mensch – Das Tavistock Institute of Human Relations und der psychologische Wandel der Arbeitswelt, 1940-2000

Erschienen im transcript-verlag in der Reihe „Kulturgeschichten der Moderne“ : 2025 Print, E-Book (PDF),

aus der Verlagsankündigung:

Menschen verändern sich – und müssen sich ständig verändern, wenn sie in der Arbeitswelt bestehen wollen. Daniel Monninger beschreibt den Wandel der Arbeitswelt seit 1940 am Beispiel des Tavistock Institute of Human Relations als einen Wandel der Selbstentwürfe arbeitender Menschen: Psychiatrische und therapeutische Experten revolutionierten zunächst die Offiziersauswahl der britischen Armee, bevor sie ihr experimentelles Wissen auf Manager und Arbeiter übertrugen. So normierten sie Flexibilität und ständige Veränderung als zentrale Bausteine ihrer Identität – eine Geschichte, die in den Selbstoptimierungsdiskursen und agilen Methoden unserer Gegenwart einen vorläufgen Höhepunkt fndet.“ [transcript-verlag]

Rezension:

…“Wie also lassen sich die Verschiebungen weg von rigidem Taylorismus und Fordismus hin zu Selbstoptimierung, Flexibilisierung und Change, wie lässt sich der oben beschriebene Wandel von Wandel empirisch einlösen? Wie kann die Geschichte des Tavistock Institute Antworten auf die Fragen nach dem Wandel der Arbeitswelt sowie nach den epistemischen Verschiebungen anthropologischen Wissens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geben? Die vorliegende Darstellung verfolgt diese Frage systematisch wie chronologisch:

Im Psycho-Laboratorium des Zweiten Weltkriegs, der insofern als Katalysator anthropologischen Wissens fungierte, sozio-logisierten sich, erstens, die Wissenskorpora der Psy-Disziplinen. Sie weiteten ihren Fokus und ihre Reichweite auf den sozialen Raum aus, womit eine räumlich-relationale Rekonfiguration des Menschen verbunden war (Kapitel 2 und 3). Ausgehend von der Tavistock Clinic der Zwischenkriegszeit trugen die Gründungsfiguren des TIHR im Zweiten Weltkrieg als »Tavistock Group« maßgeblich dazu bei, die Offiziersselektion der British Army in den sogenannten »War Office Selection Boards« (WOSBs) mithilfe sozialpsychologisch und psychiatrisch angeleiteter Gruppenexperimente zu revolutionieren (Kapitel 3.a), das Armeekrankenhaus von Northfield therapeutisch auf Vordermann zu bringen (3.b) und mit den »Civil Resettlement Units« (CRUs) ein Programm zur sozialen Wiedereingliederung ehemaliger britischer Kriegsgefangener zu entwickeln.“ (32) (transcript)

„ „ Ich werde argumentieren, dass der dort geformte kybernetische Manager ein selbstorganisiertes System bildete, das sich (und andere) fortlaufend evaluiert und das sich (und anderen) eigenständig immer neue Ziele setzt. Er ist – ganz ähnlich wie die eingangs vorgestellten »Young Leaders« der Gegenwart – zur kontinuierlichen Realisierung seines Potenzials angehalten. Er ent-wirft sich immer wieder neu in die Zukunft. …“ (33) (transcript)

„ … Die beiden Nachkriegsprojekte, die zur Herausarbeitung der idealtypischen Figuren des flexiblen Arbeiters sowie des kybernetischen Managers dienen, und die in eine Fabrik der Glacier Metal Company sowie in den Unilever-Konzern führen, konnten mit je eigenen Quellenkorpora bearbeitet werden. Ersteres Projekt ist einerseits durch die angesprochenen TIHR-Bestände der Wellcome-Collection, vor allem aber durch eine überaus rege Publikationstätigkeit der TIHR-Projektmitarbeiter erschlossen. Neben einer großen Monographie zum Projektabschluss durch Projektleiter Elliott Jaques betrifft dies zahlreiche Artikel, die in der vom Institut gemeinsam mit dem amerikanischen Research Center for Group Dynamics (RCGD) gegründeten Zeitschrift »Human Relations« erschienen.98 Unilever hingegen verfügt über ein Konzern-Archiv am alten Firmensitz in Port Sunlight in der Nähe von Liverpool,99 das reichhaltigen Aufschluss über die eigene Managementrekrutierungspraxis lieferte, die in Kapitel 6 historiographisch durchleuchtet wird. Weitere publizierte Quellen lieferten wertvolle Hinweise zu Einzelaspekten. Zu nennen – und systematisch durchsucht worden – sind hier vor allem das British Medical Journal (BMJ) für die Kriegsprojekte sowie das Journal of Social Issues (J Soc Issues) für die Nachkriegszeit. …“ (36) (transcript)

„… Wofür also steht das Tavistock Institute in dieser Geschichte? Es steht dafür, dass das scheinbar Randständige zur Erklärung großer Umwälzungen dienen kann; dafür, dass das Kleine, Partikulare transnationale Relevanz gewinnen kann. Es dient als Knotenpunkt einer Geschichte der Gegenwart. Es steht für einen Wandel anthropologischen Wissens, der bis in unsere Gegenwart reicht – und damit für einen Wandel von uns allen. Es mag anmaßend wirken, als einfacher Historiker zum Verständnis der Gegenwart beitragen und damit gar einen ersten Schritt hin zu ihrer Veränderung machen zu wollen. Doch sollten wir uns mit weniger zufrieden geben? Erzählen wir also die Geschichte des Tavistock Institute of Human Relations als unsere. ….(38) (transcript)

Die inhaltliche Ausgestaltung eines Fazits folgt in der Regel einer doppelten Anforderung – jener des Autors und jener der Leserin. Beiden gemein ist das Bedürfnis nach einem runden Abschluss der Arbeit, nach einer kompakten Zusammenführung der Ergebnisse. Das folgende Fazit soll folglich nicht nur Abschluss sein, sondern auch Aufschluss geben in Form einer Einordnung und eines Ausblicks. Im ersten Schritt gilt es, die Leitfrage nach dem Wandel der Arbeitswelt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu rekapitulieren und einer Antwort zuzuführen. Oder konkreter: Was lässt sich anhand der Geschichte der Tavistock Group im Zweiten Weltkrieg sowie des Tavistock Institute of Human Relations zwischen den 1940er und 1970er Jahren über diesen Wandel lernen? Die in der Einleitung entfaltete These einer dreifachen epistemischen Verschiebung im anthropologischen Wissen kann hier anhand der empirischen Befunde präzisiert und hinsichtlich ihrer Effekte auf den Wandel der Arbeitswelt in den vergangenen 80 Jahren befragt werden. …“ (249) (transcript)

Wie also passen die Sozialfiguren des kybernetischen Managers und des flexiblen Arbeiters, wie passt überhaupt das Tavistock Institute in eine weiter gefasste Geschichte der Arbeitswelt der zweiten Hälfte des 20. sowie des beginnenden 21. Jahrhunderts?Wie hängen sie mit der für die Zeit seit den 1970er Jahren beschriebenen »Therapeutisierung«, wie mit dem Wandel der Arbeitswelt im und nach dem Boom zusammen? DieAntwort auf diese Fragen – zumindest eine Antwort – hat mit Produktivität und Wandel zu tun, genauer: dem Wandel in der zweiten Jahrhunderthälfte, der uns heute alle betrifft. Was ist damit gemeint? … „ (265) (transcript)

Dass der »Change« des Selbst und der »Change« der jeweiligen Umwelt in eins fielen, dass das Selbst eine Projektion in die Zukunft, ein zukünftiges, nie abschließbares Projekt wurde, dass sich die Anforderungen der flexiblen Anpassungsfähigkeit und der kybernetischen Antizipation abwechselten – all dies hat Konsequenzen, sowohl in der Arbeitswelt als auch darüber hinaus. Insofern sind die aktuell grassierenden psychischen Zivilisationskrankheiten namens Depression und Burnout auch eine Mahnung. Sie sind die Erinnerung daran, dass ein menschliches Perpetuum mobile nicht möglich ist: Es gibt kein Werden ohne Vergehen, kein Leben ohne Konflikt. Es gibt keinen Wandel ohne Entropie. … „ (277) (transcript)

Der Autor liefert hier eine umfassend belegte und kommentierte Untersuchung über die Arbeit des benannten Instituts in der Zeit von etwa 1917 bis zum Ende des II. Welkrieges und darüber hinaus in der Analyse und den daraus folgenden Vorstellungen zur der Weitergabe der daraus resultierenden Einsichten in der Durchführung von Workshops.

Die für das Jahr 2020 geplante Auflage des »Launching Young Leaders«-Workshops musste derweil aufgrund der grassierenden Corona-Pandemie verschoben werden. An ihrer Stelle fand im Juli 2020 eine unter dem Titel »Self-Leadership: Group Leadership« online abgehaltene Zoom-Konferenz statt, deren Ziel in der Online-Ausschreibung klar umrissen war: »The goal of the workshop is to help you become a better version of your self.«3 Auch 2021 musste der »Self Leadership, Group Leadership«-Workshop pandemiebedingt online abgehalten werden. Das vielsagende Motto der Veranstaltung: »Exploring managing others and managing yourself«. Die meisten Organisationen hätten realisiert, so lockte der Ausschreibungstext für die im März 2021 abgehaltene Veranstaltung die potenziellen Nachwuchsführungskräfte, »that clinging to rigid ways of operating is no longer suitable for younger employees who are more productive if they have greater autonomy over where, when and how they work – but you need to know how to function in this increasingly competitive environment.« … (14) (transcript)

Peter Dahms [www.Dahms-Projekt.de/wordpress]