„Kritischer Kannibalismus“

Rezensionen Literatur

Christoph Schmitt-Maaß –
Kritischer Kannibalismus –
Eine Genealogie der Literaturkritik seit der Frühaufklärung –

380 Seiten kart. Dezember 2019 PRINT ISBN 978-3-8376-3989-6 –

E-Book (PDF) ISBN 978-3-8394-3989-0 –

Aus der Reihe ‚Lettre‘ vom [transcript-verlag]

REZENSION:

Literaturkritik war und ist heute oft noch eine Veranstaltung unter Kollegen gleicher Profession. Hier werden Literaturerzeugnisse des Anderen entweder wohlwollend, abwertend, polemisch, satirisch oder professionell neutral interpretiert und diese Arbeiten der Community und auch der interessierten Öffentlichkeit vorgelegt. Literaturkritiken werden, wenn sie als gelungen angesehen werden, selbst zu Objekten der Literaturwissenschaft und sind damit auch selbst wieder kritikwürdig. Sind sie nach allgemeiner Bewertung polemisch, unverdient abwertend oder persönlich angreifend, so schaden sie dem Kollegen in seiner Reputation und wirken zerstörend auf sein Ansehen in der Literaturszene und meist auch der Öffentlichkeit. In diesem Fall sprach Walter Benjamin von einem „kritischen Kannibalismus“.
In der neueren Zeit hat sich die Literaturkritik aus der Literaturwissenschaft oft nur zu einer Rezension „zurückentwickelt“, die auch von Fachfremden im Auftrag von Verlagen die Verlagsprodukte als verkaufsfördernd der Leserschaft bekannt gemacht werden. Dabei kann dann nicht immer oder auch immer weniger von einer objektiven Kritik gesprochen werden. Im einfachsten Fall ist es eine knappe Inhaltsbeschreibung mit einer wohlwollenden Beurteilung um den Verkauf des Produktes zu fördern. Dazu gehört auch die Kenntnisnahme und „Bekanntmachung“ im heutigen journalistischen, online veröffentlichten Bearbeitungen. (Nebenbei: Als Metapher wird ein Begriff des „Kannibalismus“ auch in der Umgangssprache und über die Populärliteratur verwendet, wenn man beim konzentrierten, pausenlosen Lesen, von dem Verschlingen“ eines Buches durch den Leser spricht.)

Der Autor des vorliegenden Buches wählt den Ausspruch Walter Benjamins als Titel für seine Arbeit, in der er der Genese der Literaturkritik aus den Ursprüngen in der Zeit der Frühaufklärung zur heutigen Form und Erscheinung nachvollzieht. Er strukturiert seine Arbeit in vier Hauptkapitels, in denen er im ersten Teil unter dem Titel:
I. Statt einer Einleitung: Konstellationen, der Arbeit eine methodologische Einführung voran gestellt in der er anhand der Arbeiten von Walter Benjamin und Michel Foucault auf Bezüge zueinander hinweist, in deren Gemeinsamkeiten und Gegensätze bei der Beschäftigung mit Friedrich Nietzche und dessen Schriften zum Verhältnis von Literaturwissenschaft und Literaturkritik und darin zur Geschichtsphilosophie. Womit den Ursprüngen nachgegangen und die Entwicklung einer Genealogie der Begriffe versucht wird.
Im zweiten Teil:
II Dichte Lektüre: Der Literaturkritiker als Kannibale bei Walter Benjamin:
Über die Beschäftigung und die Veröffentlichungen Walter Benjamins mit der Entstehung und der Begründung des Begriff des „Kannibalismus in der Kritik“
im dritten Teil:
III. Tiefe Lektüre: >Critischer Canibalism< im Zeitalter der Aufklärung: Über die Entwicklungen und dem Wandel in der Literaturkritik im Laufe des 18. Bis zum 20. Jahrhundert. Aus der Entstehung des Begriffs „kommerzielle“ Literaturkritik aus der „philologischen“ Literaturwissenschaft durch kommerzielle Interessen und aus ökonomischen, finanziellen Beweggründen.
im Letzten, dem vierten Teil:
IV. Statt eines Schlusses: Der Kannibalismus, der Markt und die Anthropologie der Literaturkritik: Hier beschreibt der Autor die Entwicklung der Literaturkritik und der sie ausübende Gruppe der Literaturkritiker aus dem Bereich der wissenschaftlichen Profession und aus der, der rein ökonomischen Bewertung und Verwertung verpflichteten Kreis des kommerziellen Verlagswesens und des Literaturhandels. Ihre Motivationen und ihr Verhältnis zu dem von ihnen ausgeübten Umgang mit den Literaturerzeugnissen sind Thema der weiteren Betrachtungen und Bewertungen.
Das Buch befasst sich, unterstützt durch eine umfangreiche Bibliografie und eine Fülle von Zitaten, mit dem Thema der Literaturkritik und beleuchtet detailliert ihre Bedeutung, ihre Wandlungen und ihre Entwicklung in der Zeit. Es bietet damit eine fundierte Quelle und ein Nachschlagewerk mit weiterführender Unterstützung für die philologische Beschäftigung mit diesem Thema.

Peter Dahms [OpernInfo-Berlin.de / Dahms-Projekt.de]